Agil um den Lainzer-Tiergarten – Etappe 2: Eine Frage der Kultur

On the Run – rund um die Lainzermauer

Ludwig:        Na, du bist ja so ruhig. Sagst gar nix mehr.

Konrad:        Etwas nachdenklich bin ich schon. Mir gefällt das mit den OKRs eigentlich sehr gut. Das hat Hand und Fuß. Aua. Ich hab‘ da so ein Stechen im linken Vorderfuß …

Ludwig:        Sollen wir ein paar Schritte gehen…

Konrad:        Nein, lasst uns weiterlaufen. Ich vertrage das Stehenbleiben wohl nicht so gut.

Daniela:        Na dann los!

Konrad:        Aber letztlich ist es doch eine Kulturfrage, ob es funktioniert.

Ludwig:        Ja, da bin ich ganz bei dir. Vielleicht nicht ob, sondern wie es funktioniert. Das OKR Modell passt sehr gut zu eher jungen kleineren Organisationen mit wenig Hierarchie, wo der Fokus noch zu 100% am Produkt ist. Dort wird es wesentlich offener angenommen als der etwas theoretisch anmutende BSC Approach mit Ursache Wirkungszusammenhängen und komplexen KPI Strukturen.

Daniela:        Genau so habe ich das in Silicon Valley erlebt. Es gibt dort tausende hochmotivierte High-Tech Start-Ups. Ich hatte die Gelegenheit einige Monate bei so einer jungen Company mitzuarbeiten. Ein kleines Team an Experten, alles Freunde und wir haben an einer disruptiven Super-Produktinnovation gearbeitet.

Konrad:        Das klingt nach Dreamland. Und wenn die Geschäftsidee dann auch noch nachhaltig funktioniert. Keine Konflikte, volles Commitment, alles auf Kurs. Was will man da noch als Geschäftsführer, wenn die Mitarbeiter wollen, was sie sollen. Unter diesen Voraussetzungen funktioniert wohl jeder Management-Ansatz.

Daniela:        Wenn man das nicht erlebt hat, kann man es kaum nachvollziehen. … Was ist los? Wenn wir so weiter-zotteln, kommen wir nie vor Sonnenuntergang ins Ziel.

Konrad:        Ich frage mich schon, was da zurzeit gerade für ein Idealbild an Organisation “gehypt“ wird. Agil, agil. Überall in der aktuellen Managementliteratur, diversen Fachzeitschriften. Alle sind sie aufgesprungen auf die Agile-New Work-Schien. Berater, Trainer, alle.

Ludwig:        Na ja, das ist ja nicht so schlimm. Es bahnt sich eben ein neues Paradigma an …

Daniela:        Ich denke eher, es hat sich schon durchgesetzt …

Konrad:        Seufzt. … Manchmal habe ich den Eindruck, dass alles was es derzeit gibt, nicht mehr gut genug ist und schlecht gemacht wird. Ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob man in einem familiengeführten, historisch gewachsenen Großkonzern arbeitet oder in einem Startup, das drei Freunde gerade eben vor zwei Jahren gegründet haben. Okay okay, ich habe jetzt zwei Extreme genannt, aber es gibt ja auch unendlich viel dazwischen an Unternehmenskulturen. Das ist ja keine Links-Rechtsentscheidung.

Ludwig:        Auf der einen Seite eine Erlaubniskultur: Jede Aktion ist erlaubt, es sei denn sie ist explizit verboten – auf der anderen Seite die Verbotskultur: Jede Aktion ist verboten, es sei denn sie ist explizit erlaubt.

Daniela:        Na dann ist Prozessmanagement wohl die größte “Verbotskultur” ever. Denn hier ist es ja genau so wie du sagst: Alles andere als die Best-Practice oder “der Prozess” ist verboten. Eine fundamentale Einschränkung. Aber zurück zur Kultur …

Ludwig:        Sag mal Daniela, wie hast du denn diese agile Kultur in California erlebt? Kannst du sie uns vielleicht kurz beschreiben?

Daniela:        Claro. Good enough for now and safe enough to try. Es geht darum möglichst schnell etwas auf den Markt zu bringen, auf Marktreife zu testen. Dafür benötigt es den Glauben an die Produkte und das Vertrauen im Team. Nicht der große Fisch frisst den kleinen, sondern der schnelle den langsamen.

Konrad:        Der Spruch kommt mir wieder Mal ziemlich bekannt vor. Wenn ich mich recht erinnere, hatten den die Gurus vom Wissensmanagement und der Lernenden Organisation auf ihre Fahnen geheftet.

Ludwig:        Guter Hinweis Konrad. Apropos langsam …

Konrad:        Hab’s schon verstanden.

Ludwig:        Nein sorry Konrad. War nur ein Scherz. Du bist nicht langsam! … Zurück zum Thema. Das ist für mich absolut kompatibel, Daniela. Arbeit soll weitestgehend selbst organisiert werden. Die mächtige Funktion von Abteilungs- und Teamleitern tritt in den Hintergrund zugunsten einer weitgehend eigenverantwortlichen und lösungsorientierten Kultur. Alle versuchen einen fairen Beitrag für das Gesamtwohl des Unternehmens zu leisten. Fehler werden nicht vertuscht, sondern gehören zur Routine des laufenden Verbesserungsprozesses.

Konrad:        Kontinuierlicher Verbesserungsprozess … also doch ein Rückgriff auf die guten alten Prozessteams und Quality Circles.

Daniela:        Ja und doch nicht ganz. So ein Feature Team im Development ist eigentlich von der Idee her einem Prozessteam sehr ähnlich. Beide sind cross-functional, folgen einer Prozesslogik und haben spezifische Rollen und Artefakte. Die einen mit dem Ziel, Prozesse weiterzuentwickeln und laufend zu optimieren, die anderen, um was Neues in die Welt zu bringen.

Konrad:        Weil du gesagt hast, Ludwig, die Führungsrolle tritt in den Hintergrund. Geht das so einfach?

Ludwig:        Führung hat ja viele Gesichter. Es geht halt mehr um Leadership und weniger um Management. Das heißt aus meiner Sicht mehr Vision, vor allem Produktvisionen und weniger Kontrolle und Disziplinierung.

Daniela:        Ganz genau. Die Einstellung der Führungskräfte ist ganz entscheidend. Ihr Denken oder nennen wir es „Innere Landkarte“ bestimmt ihre Handlungen, ihr Führungsverhalten.

Konrad:        Du meinst die Führungsstile: autoritär, demokratisch oder laizze-affair … Hmm. Sagt‘, sind wir da noch richtig? Der Pfad wird immer enger und verliert sich dort fast im Nichts …

Ludwig:        Alles gut. Das passt schon- nur eine kleine Abkürzung. Dort vorne kommt gleich eine Abzweigung nach links und dann sind wir wieder am Weg.

Daniel:          Genau. Auf unserem Weg …

Ludwig:        Wenn eine Führungskraft der Ansicht ist, dass alle Mitarbeiter faul und unselbstständig sind, immer nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht, und von sich aus keine Initiative ergreifen, dann werden diese Menschen alles daran setzen, um direkt zu steuern, zu kontrollieren, um mit Androhung von Strafen Maßnahmen durchzusetzen und so Ergebnisse zu erzielen.

Daniela:        Und wenn dann noch Disziplin und Ordnung die wichtigsten Werte im Unternehmen sind …

Konrad:        Dann entsteht eine Misstrauenskultur, ein Gegeneinander – Manager versus Arbeiter – Die „Großkopferten“, die denken, planen und leiten …

Daniela:        Und die Dummen, upps, ich meine die … Ausführenden, die die nicht denken, sondern einfach gehorchen sollen. Klingt ein wenig wie die Untertanen in den autoritären Fürstenstaaten des Mittelalters, oder?

Konrad:        Genau. Oder so wie manche Eltern ihre Kinder erziehen. Man versucht sie dumm zu halten, um sie leichter kontrollieren und manipulieren zu können. Kinder, die immer klein gehalten werden, bleiben dann auch dumm oder vermitteln zumindest den Eindruck, dass sie es seien. Meine Oma hat immer gesagt: Kinder muss man auch ein wenig fordern, dann wachsen sie mit der Aufgabe.

Ludwig:        Fordern und fördern. Aber nicht überfordern und verheizen. Wobei ich ja der Ansicht bin, dass sich heutzutage diese Differenz von Führungskraft und Mitarbeiter, von Oben und Unten, von Planen und Ausführen immer mehr auflöst.

Daniela:        Du meinst so wie ein Scrum Master oder Product Owner? Die sind ja auch keine disziplinarischen Vorgesetzten, sondern haben einfach eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, um das Gelingen des Development-Teams zu unterstützen bzw. zu fokussieren.

Ludwig:        Ja genau, in der agilen Welt werden viele der Aufgaben der klassischen Führungskraft auf unterschiedliche Rollen verteilt. Der Product Owner gibt Vision und Richtung vor. Technical Leads sorgen für konstante Qualität in den jeweiligen Domains und Scrum Master stellen mit den entsprechenden Rahmenbedingungen sicher, dass sich das Team auf das konzentrieren kann, was es am Besten kann – entwickeln. Und das im Idealfall ohne Störung und Unterbrechung.

Konrad:        Welche Aufgaben bleiben dann für die Führungskräfte übrig, wenn sich die Mitarbeiter weitgehend selbst organisieren?

Ludwig:        Ich denke da gibt es zumindest zwei Möglichkeiten: Entweder sie werden wieder zu Experten mit der einen oder anderen Zusatzrolle des agilen Umfelds. Ein Großteil der Führungskräfte sind ja ohnehin mehr Experten als Führungskraft, manche wurden sogar unfreiwillig in Führungsrollen gehievt.

Konrad:        Na so einfach ist das wohl nicht ohne Gesichtsverlust. Da braucht es jedenfalls attraktive Expertenkarriere-Pfade, die in Vergütung und Ansehen dem Management Pfad gleichgestellt sind. Und die zweite Möglichkeit?

Ludwig:        Oder die Führungskräfte haben das Potential und entwickeln sich zu richtigen Leadern, jenseits der Rolle von Organisatoren, Planern und Verwaltern. Zu Persönlichkeiten, die Visionen entwickeln und kommunizieren können als auch Rahmenbedingungen schaffen, dass Mitarbeiter produktiv und möglichst selbstbestimmt arbeiten können – zu richtungsweisenden Gestaltern.

Konrad:        Und wer entscheidet dann, wenn die Führungsfunktion und die damit verbundene Entscheidungskompetenz auf unterschiedliche Rollen aufgeteilt wird?

Daniela:        Diese Eskalationsspirale nach oben bis zu einem finalen Entscheider, gibt es dann eben nicht mehr. Je nach Kontext und Inhalt werden Entscheidungen selbstbestimmt im Team getroffen.

Konrad:        Entscheidungen im Team? Also basisdemokratisch. Jeder darf mitreden und nix kommt dabei raus. Oder eben nur der kleinste gemeinsame Nenner. Also bitte, das dauert ewig und funktioniert sowieso nicht.

Ludwig:        So wie du es gerade beschreibst, geht es sicher nicht. Einen Konsens finden, wo alle hundertprozentig zustimmen, nein, das funktioniert in der Praxis tatsächlich nicht. Es gibt andere Methoden wie man in einer Gruppe zu schnellen und auch guten Entscheidungen kommt. Die integrative Entscheidungsfindung beispielsweise ist ein strukturiertes und moderiertes Vorgehensmodell zur Nutzung vielfältiger, hilfreicher Perspektiven. Erst wenn alle Mitglieder keine Sach- oder Zieleinwände mehr haben, kann mit dem vorgeschlagenen Entscheid weitergearbeitet werden. Im Vordergrund steht das Fällen eines zum Weiterarbeiten genügenden Entschlusses, ohne den organisationalen Kriterien der Kontrolle und der Konstitution zu widersprechen.

Konrad:        Habt ihr das schon ausprobiert?

Daniela:        Wir verwenden eine Mischform aus Soziokratie und systemisch Konsensuieren an, abhängig von der Art der Entscheidung. Bei operativen Fragen nehmen wir die kürzere Form des Konsent-Findens und bei strategischen Themen das Kreisverfahren mit den drei Schritten: Fakten sammeln, Vorschlag/Entscheidung finden, Abstimmen.

Ludwig:        Just try it. Da kann nicht viel schief gehen. Wichtig ist aber, dass du eine entsprechende Werthaltung einbringst.

Daniela:        Genau. Und deinem Team etwas Zeit gibst, sich darauf einzustellen. Dir empfehle ich auch die entsprechende Geduld für diese Transformation miteinzuplanen. Sonst wird’s wirklich nichts.

Konrad:        Geduld. Ich? Jede Menge! … Aber wer sorgt dann für die Weiterentwicklung der Mitarbeiter, wenn die traditionelle Führungskraft immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird, um dem Team die Bühne zu überlassen?

Daniela:        Die Weiterbildungsmaßnahmen werden bei uns auch selbstorganisiert gemanagt, das heißt das Team selbst im Rahmen eines vorgegebenen Weiterbildungs- und Trainings Budgets, welche Kompetenzen und Skills benötigt werden und was das Team weiterbringt.

Konrad:        Bleibt da nicht die individuelle Weiterbildung und Entwicklung auf der Strecke? Das was das Team benötigt ist das eine, aber das muss ja nicht unbedingt mit den persönlichen Karriere- und Entwicklungsambitionen jedes einzelnen zusammenpassen, oder?

Ludwig:        Da hast du sicher recht. Insofern werden uns die Führungskräfte nicht so schnell ganz abhandenkommen. Schaut mal dort, ein cooles Bild. Der kleine Teich mit den Seerosen. Wie sie in der Sonne glänzen. Jede für sich ein Unikat und gemeinsam verbunden zu einem so beeindruckenden Arrangement.

Konrad:        Dort sehe ich wieder ein Tor. Ist das unser zweites Etappenziel?

Ludwig:        Genau.

Daniela zeichnet wieder am Boden:

Daniela:        Ihr erinnert euch noch an unser Bild von vorhin. So würde ich Führung und Kultur ergänzen bzw. OKRs darin eingebettet verstehen.

Autoren: Gerald Aschbacher/Christian G. Majer

Und wie geht es weiter? … Es folgen noch zwei weitere Etappen – 3. Etappe: Projekte, Prozesse oder eine gute Mischung – coming soon …