Auf der Suche nach der perfekten Organisation – Schöne neue agile Welt – Der Auftrag (2)

– Hi Leo, du wirst es nicht glauben, was heute passiert ist.

– Hallo Manuel. Nein werde ich nicht, aber erzähl es mir trotzdem.

– Also meine Chefin, du weißt schon, die Neue. Die will doch glatt, dass ich ein Konzept für eine total agile Organisation entwerfe. Agilität fürs gesamte Unternehmen. In nur 30 Tagen. Ein Sprint, sagt sie. Aber warum gerade ich?

– Du bist doch Assistent der Geschäftsführung.

– Ja, aber ich bin Jurist, kein Management-Guru.

– Juristen können nicht nur die Welt erklären, sondern haben auch zu allem eine Meinung. Nicht?

– Leo bitte.

– Entschuldige. Wo ist dein Problem?

– Leo, Probleme gibt es doch schon lange nicht mehr. Das ist out. Herausforderungen! Nur noch Herausforderungen.

– Du hast recht. Das hat doch Holiday Inn schon vor etlichen Jahren eingeführt. Ich war damals Barkeeper in Seattle, in den späten 70ern.

– Echt, wusste ich gar nicht. … Die Herausforderung liegt jedenfalls in der Komplexität der Sache und vor allem in der Deadline. Wobei, ich glaube, sie will mich abschießen.

– Also, da ist dein Problem … äh die …

– Genau. Agilität war doch das Modewort des vorigen Jahres. Und nun bildet sie sich tatsächlich ein, wir müssen das auch implementieren. Ein Konzept innerhalb von ein paar Tagen entwerfen und dann auch gleich implementieren. Wie soll denn das gehen? Eine Zumutung, ich sag’s dir!

– Manuel, das kann ich nicht glauben. Das ist doch ein Klacks für dich. Da hast du schon ganz andere Dinger gestemmt. Oder waren das alles Geschichterln?

– Ja. Nein. … Aber das ist doch … ganz ehrlich, dieser Agilitäts-Wahn …

– Schau mal. Siehst du den Mann dort mit dem pinken Schal?

– Ja. Und?

– Geh hin. Er kann dir sicher einiges zum Thema Agilität aus der Praxis erzählen. – Hey Peter, hilf dem Greenhorn da bitte ein wenig auf die Sprünge. Es geht um agile, autonome Teams und so. Du weißt schon …

– Leo, na klar. Aber gib‘ mir noch einen, bitte. Komm rüber, Junge. Ich erzähl dir gerne was aus meiner Welt. Agile Teams! Selbstorganisation und Empowerment. Im Idealfall sind die so agil, dass sie dich als Boss gar nicht mehr brauchen, sag ich dir.

– Wie meinen Sie das? Agil ist doch heutzutage state of the art. Was kann daran falsch sein?

– Ha, ha, der war gut. Es ist wie mit jedem Hype. Die Leute fahren drauf ab, verdrehen oder missbrauchen die Kernaussagen. Und morgen ist wieder alles vergessen.

– Was sind denn die wahren Kernaussagen? Sorry, wenn ich so direkt frage.

– Gut so Junior! Na, dann hier gleich ein Best-of von dem, was ich in meinem Beratungskontext üblicherweise über Agilität zu hören bekomme.

5. Ein Argument, nichts planen zu müssen

4. Geheimniskrämerei …

3. Legitimation zur Intransparenz

2. Eine Ausrede für: Wir können nicht sagen, wann das Projekt fertig ist, und was es kosten wird

– Und die Nummer Eins?

– Auf gut österreichisch ‚Schau ma mal‘

– Verstehe. Aber warum gibt es diese Agilitäts-Mania jetzt überall? Also, meine neue Chefin ist ganz fixiert drauf. Alles, was nicht agil ist, wird als veraltet, schlecht abgewertet, ist einfach pfui.

– Du hast recht. Ich finde das auch überzogen. Viele sehen darin den neuen Königsweg für die aktuellen Herausforderungen: Digitalisierung, Industrie 4.0, Kostendruck und VUKA-Welt. Das schreit nach neuen Management-Prinzipien.

– Und Agilität ist die einfache und schnelle Lösung dafür? Echt jetzt?

– ‚Die Welt ist so kompliziert geworden‘ hat schon vor vielen Jahren ein österreichischer Bundeskanzler gesagt. VUKA ist zwar ein Modebegriff, aber gar nicht so neu. Er wurde Ende der 90er in den USA kreiert, genau genommen im United States Army War College und diente zunächst dazu, die multilaterale Welt nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben. Später sickerte der Begriff in viele andere Bereiche, vor allem in den Wirtschafts- und Management-Kontext ein. Volatil – Unsicherheit – Komplexität – und Ambiguität.

– Schöne Fremdwörter – bis auf Unsicherheit. Das kann ich nachvollziehen. Die Welt ist nicht absolut sicher. Es besteht immer ein Restrisiko.

– Dies entspringt zu einem Gutteil der Komplexität. Komplex im Unterschied zu kompliziert. Kompliziert bedeutet, dass viele kleine Schritte auszuführen sind, bis man ans Ziel kommt. Aber dann funktioniert es. Technik macht vieles möglich, wenn man genau die richtigen Dinge tut. Die Brücke hält, und das Hochhaus steht.

– Integralrechnung. Und so die Natur dem Menschen untertan machen, oder?

– Genau da liegt der Unterschied. Komplex bedeutet, aufgrund vieler unterschiedlicher Paramater ist ein Sachverhalt nicht kalkulierbar und nicht beherrschbar. Magst du Fußball?

– Nein. Warum?

– Egal. Du kennst die Regeln. So auch die Teams und die Trainer. Dennoch kann man das Ergebnis nicht vorhersagen.

– Gut. Kann ich nachvollziehen. Und volatil heißt, das kann ich zumindest aus den lateinischen ableiten, so viel wie wechselhaft, instabil oder schwankend.

– Ganz genau. Preise oder Märkte sind sprunghaft. Auch die Einstellungen und Meinungen von Menschen können sich von einem Tag auf den anderen ändern. Das macht schon einen Unterschied zu stabilen, ewig gleichen Gegebenheiten.

– Wie im Mittelalter. Da war allen klar, wo oben und unten ist, und was Himmel und Hölle bedeuten. Wo jeder seinen Platz in der Stände-geordneten-Gesellschaft hatte.

– Tja. Das hat sich drastisch verändert.

– Und daher A wie Agilität.

– Nein. Agilität ist mehr oder weniger die Antwort auf VUKA. Agilität ist zum Inbegriff von Flexibilität, Kundenorientierung, gesundem Wirtschaften und Organisieren, Effektivität und Best-Practice schlechthin geworden, in der so komplexen neuen VUKA-Welt. A steht hier für Ambiguität.

– Das heißt wohl widersprüchlich? Ambivalent? Die Welt ist nicht mehr so übersichtlich wie früher. Die einfache Zuordnung von Gut und Böse löst sich auf. Ich habe das bei den Bond-Filmen verfolgt. Bis zum Zerfall der UdSSR war noch ziemlich klar, wer Freund und Feind ist.

– Gut beobachtet! Wer ist heutzutage Täter und wer ist Opfer? Die Industrie, die Angebote schafft oder die Konsumenten, die diese annehmen oder gar fordern. Wer ist nun für die Klima-Krise verantwortlich?

– Das kommt mir bekannt vor. Das Verursacher-Prinzip ist keine triviale Sache bei Gerichtsverhandlungen. Alles klar.!

– Bei mir gibt es auch VUKA: Vodka – Uzo – Kai Pirinha – Aperol-Spritzer

– Ganz genau, Leo! Ich nehme noch einen Aperol-Spritzer.

– Aber wie wird man eigentlich agil? Wie implementiert man Agilität in einem Unternehmen?

– Eine gute Frage. Aus meiner Sicht steht und fällt alles mit dem Loslassen der Führungskräfte.

– Wieso Loslassen?

– Es gilt, mit gutem Beispiel voranzugehen und zu delegieren. Mehr noch: Auf die Selbstorganisationskräfte von Teams zu vertrauen und sie mit Entscheidungsbefugnissen auszustatten, zu empowern. Mit einer entsprechenden Kontextsteuerung wird ein adäquater Rahmen geschaffen, in dem Teams weitgehend selbstbestimmt vereinbarte Ziele verfolgen können. Regelmäßige Reflexionen nutzen Fehler als Lern- und Entwicklungschancen. Es ist nicht unbedingt leicht anderen Entscheidungen „zuzutrauen“, ihnen Aufgaben „anzuvertrauen“. Führungskräfte bleiben ja doch Letztverantwortliche. Aber es ist machbar und notwendig!

– Hmm. Darüber muss ich nachdenken. Sie haben mir jedenfalls sehr geholfen. Danke.

– Keine Ursache. Gerne. Einen Rat habe ich noch für dich.

– Ja, ich bin offen für alles, was mir Orientierung bringt.

– Finde heraus, worauf das Neue eine Antwort ist. Und vor allem, was sich ein Unternehmen von Agilität erwartet. Diese Berater, sag ich dir, erfinden immer neue Sachen, nur damit sie was zu tun haben. Konzepte implementieren und ab-cashen können. Denn, der Erfolg ist dir nur sicher mit einem teuren Berater. … Ich war selbst mal so einer. … Egal.

– Wie meinen Sie das?

– Denk‘ drüber nach. Du wirst es schon herausfinden. Jedes neue Management-Konzept versteht sich als Lösung für ein aktuelles Problem, will die einzig wahre Antwort darauf sein. As simple as that. Na dann, mach‘s gut Junge.

Die frische Nachtluft am Weg nach Hause tat Manuel gut. Die Aussagen des Fremden beschäftige ihn. Agilität als Antwort auf aktuelle Probleme. Zuhause angekommen googelte er noch ein wenig und fand schließlich den folgenden Artikel im Netz.

To be continued – die Suche geht weiter …