Coronavirus befeuert Digitalisierung und New Work

Oder was ist nun das Gute im Schlechten?

Der Corona-Virus ist eine aktuelle Bedrohung für jeden einzelnen Menschen und auch eine ernstzunehmende Krise für die Welt-Gesellschaft. Es ist nicht die erste Epidemie in der Menschheitsgeschichte, vielleicht aber die erste globale Pandemie nach der mittelalterlichen Pest sowie Cholera und Spanische Grippe in der Neuzeit. Eingetreten haben wir uns die Sache mit den Viren durch unsere Sesshaft-Werdung vor mehr als 10.000 Jahren. Als wir noch als Nomaden in den Savannen herumstreiften, stellte sich das Problem nicht, da konnten Viren sich nicht einnisten. Aber diese Entscheidung lässt sich nicht mehr ungeschehen machen, die Globalisierung mit ihren wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen noch viel weniger. Was heißt dies nun für Organisationen und verantwortliche Führungskräfte? Abwarten und hoffen? Darauf, dass alles wieder so wird wie vorher? Sicher nicht. Kann die CV-Krise vielleicht auch als Chance verstanden werden? Als reflektierte Neuausrichtung? Als Entschleunigung? Oder als Besinnung aufs Wesentliche? Wir wollen hier fünf Punkte herausgreifen, als Reflexionspotential und potentielle Ansatzpunkte für Chancen in und nach der Krise. Frei nach der Story von Stephen Covey in der ein Mann einem Holzfäller bei der Arbeit zusieht und ihn nach einiger Zeit befragt, was er denn hier mache. Dieser antwortet ihm keuchend, er müsse all diese Bäume hier fällen. Daraufhin meint der Wanderer nachdem er dessen Werkzeuge inspiziert hat, dass diese ja total stumpf seien. Und die mürrische Antwort des Holzfällers: „Ich habe so viel Arbeit, dass ich doch keine Zeit habe meine Säge zu schärfen!“

  1. Distance Learning – Flipped Classroom

Per Verordnung haben alle Universitäten und Fachhochschulen ihren Präsenzunterricht eingestellt, alle Schulen schlossen weitgehend ihre Pforten. Viele Trainingsanbieter und internen Weiterbildungsprogramme habe ihre Kurse bis auf Weiters abgesagt. Stillstand? Nicht ganz. Die öffentlichen Bildungseinrichtungen stellten auf Distance-Learning um. Der Haken dabei ist nur, dass nicht alle Uni und FH dafür wirklich gut gerüstet sind. Weder technisch noch methodisch, weder Lehrkräfte noch Studierende. So what? Krisen sind dazu da, etwas zu tun, das man bisher aufgeschoben hat. Also los. Rein ins Experiment. Es ist die Chance den sogenannten Flipped-Classroom zu leben. Eingeständiges Erarbeiten von Lerninhalten aus e-books, Video-streams und Podcasts. Bearbeitung und Reflexion via Video-Conferencing abwechselnd in virtuellen Kleingruppen sowie Präsentationen und Conclusio im digitalen Plenum. Nicht so einfach wie gewohnte Präsenz-Settings, vor allem weil der face-2-face Kontakt und die üblichen Verstehens- uns Kontrollmechanismen in der Kommunikation nicht so greifen, aber dennoch machbar.

  • Digitalisierung – e-Business

Was bedeutet diese prekäre Situation nun generell für Wirtschaft und Gesellschaft? Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten und Chancen physische Präsenz zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren, das heißt soziale Kontakte ohne körperliche Nähe in Menschenmassen aufrecht zu erhalten. Das gesellschaftliche Überleben zu sichern, den Notbetrieb aufrechtzuerhalten und die Versorgung zu garantieren. Organisationen können sich nun die folgenden Frage stellen: Was bedeutet die Krise für mein Geschäftsmodell? Welche neuen Lücken oder Gelegenheiten tuen sich auf? Und was kann man auf digital umstellen? Welche Prozesse muss ich ändern oder neu machen? Bestellung via Internet und Zustelldienste profitieren zurzeit von der virulenten Situation. Künstler*innen und Event-Veranstalter anderseits sind in einen Schock-Modus versetzt. Keine Veranstaltungen, keine Performance, kein Einkommen. Virtual Reality ist sicher nicht das Allheilmittel, aber vielleicht eine gangbare Alternative, um den vielen Menschen in Quarantäne etwas zu bieten, virtuelle Erlebnisse for Home-Concooning. Wie in der Biedermeier-Zeit, als sich das Leben aufgrund des Metternich‘schen-Überwachungsstaat-Virus weitgehend auf die eigenen Vier-Wände verschoben hatte, steht uns nun auch eine Phase der Konzentration auf zu Hause bevor. Dennoch wollen wir weiterhin versorgt sein, mit Lebensmitteln, ärztlicher Betreuung, staatlicher Ordnungssicherung, Bildung, Kultur usw.. Organisationen, die jene Leistungen erbringen, sind gefordert dies nun im Krisen-Modus zu tun oder sich ob der geänderten Rahmenbedingen digital neu zu erfinden oder bescheidener um eine digitale Ausprägung zu ergänzen.

  • Regionalisierung

Wir werden wohl die Globalisierung als Ganzes nicht zurückdrehen können, aber ein Überdenken und Neujustieren unserer Warenströme inklusive zugrundeliegender Logistik ist mehr als überfällig. Damit meinen wir regionale Clusterbildung, Wiederbelebung von Grätzeln und Dorfstrukturen also kleinen Systeme in großen Systemen. Globalisierung mit losen Koppelungen von (teil-)autonomen kleinen Einheiten und damit Schaffung von Pufferzonen sowie Entkoppelung direkter Abhängigkeiten, das Erkennen und Auflösen fragiler Systeme, die Etablierung eines Europas der Regionen alias Leopold Kohr und noch kleinformatiger. Damit ist keine Abschottungspolitik gemeint, sondern viel mehr eine Forcierung des Subsidiaritätsprinzips mit globalen Rahmenbedungen. Adäquate regionale Lösungen unter gemeinsamen, weltweit gültigen gesetzlichen und sozialen Standards. Eine Vorreiterrolle könnte eine echte, faire Verrechnung von Transportkosten darstellen. Zugegeben noch ein weiter Weg zu gehen und nicht nur eine Frage der politischen Weichenstellungen.

  • New Work leben

Home-office ist gerade voll in und scheint derzeit die einzig machbare Lösung zu sein. Aber geht das überhaupt? Arbeiten die Leute denn wirklich genau so effektiv von zu Hause wie in der Firma? Das hängt sicher von einigen Faktoren ab, wie technischen Möglichkeiten, Zugriffe auf entsprechende IT-Systeme und Daten, aber auch vom heimischen Kontext. Wie zähmt man lebendige Kinder und wie kanalisiert man andere familiäre Unterbrechungen. Letztlich läuft es auf den Reifegrad von Mitarbeitern hinaus, sich die Arbeitssituation zeitlich, sachlich und sozial so zu gestalten, dass man arbeitsfähig ist. Effektive Time-slots zu organisieren, innerhalb derer ungestört gearbeitet werden kann. Und dazwischen Entspannung, Pausen, Abwechslung, Erledigung notwendiger privater Heimarbeiten. Es ist aber nicht nur der Reifegrad der Mitarbeiter*innen zu betrachten, sondern genauso derjenige von Führungskräften. Deren innere Landkarte tragen wesentlich zum Erfolg von Home-office oder generell zum Funktionieren von New Work bei. Der entscheidende Unterschied sind die Werte und Haltungen. Ob ein Manager im Sinne der Theorie X nach McGregor daran glaubt, dass Menschen von Natur nicht nur faul, sondern auch unselbstständig sind, nicht eigenständig denken und verantwortungsvoll handeln können, denn dann müssen sie stets kontrolliert und beaufsichtigt werden müssen. Und es somit zur wichtigsten Aufgabe einer Führungskraft gehört, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter*innen funktionieren. Das werden sie auch unter solchen Bedingungen tun, funktionieren wie Maschinen, die genau nur das erledigen können wofür sie programmiert sind. Führungskräfte, die hingegen an die Theorie Y glauben, gehen davon aus, dass Menschen von sich aus neugierig und interessiert sind, sich gerne einbringen, zum Erfolg des Unternehmens beitragen wollen, Verantwortung übernehmen und sich auch selbst kontrollieren können. Alles Voraussetzungen für die schöne neue agile Welt, eine New-Work-World in der selbstorganisierende Teams Verantwortung übernehmen, nach optimalen Lösungen suchen und sich durch permanentes Lernen systematisch weiterentwickeln. Die traditionelle Rolle eines allwissenden und immer recht-habenden Vorgesetzten benötigt es hier nicht mehr. Manager agieren viel mehr als Impulsgeber und Coach, als Ermöglicher von Neuem, aber auch als Unterbrecher von Routinen und Infrage-Steller von Bestehendem, als „schöpferischer Zerstörer“ im Sinne J. Schumpeters.

Die Chance besteht nun darin, Mitarbeiter*innen die Selbstverantwortung für den operativen Betrieb von zu Hause aus zu übertragen. Und sie darüber hinaus in einen Reflexionsprozess für die digitale Erneuerung des Unternehmens einzubinden.

  • Feuerprobe für die Mitarbeiter*innen

Home-office, Kurzarbeit, Notbetrieb vieler Organisationen bedeutet für Mitarbeiter*innen nach Hause geschickt zu werden, ihre Arbeit ganz oder eingeschränkt nicht in der Firma, Büro oder gewohnten Rahmenbedingungen zu erbringen. Das klingt nach relaxen, Quasi-Urlaub oder zumindest stressfreier Zeit. Ist es aber nicht. Orientierungslosigkeit, Ängste und Sorgen können sich da schnell breit machen, wenn man im Home-Office alleine gelassen wird. Ein fataler Trugschluss für Unternehmen und Manager wäre es obendrein, die überstandene Krise als Anlass für Kündigungen zu nutzen. Nach dem Motto: So viele Leute brauchen wir also doch nicht. Gerade die nicht direkt wertschöpfende, operative Funktionen sind hier besonders gefährdet. F&E Abteilungen, Supportbereiche wie Qualitätsmanagement und Projektmanagement-Office, Wissensmanagement oder Controlling könnten vorschnell dem Rotstift zum Opfer fallen. Allzu leicht könnte die Balance von dringend und wichtig in eine Schieflage geraten und das Potential für strategische Zukunftsentwicklung entscheidend geschwächt werden.

Daher sind Mitarbeiter*innen nun selbst gefordert, ihre operative Performance in der Heimarbeit unter Beweis zu stellen und auch für ihre jeweiligen Bosse transparent zu dokumentieren. Nicht alle Vorgesetzen sind so naiv, dass sie noch an die absolute Rationalität von Organisationen glauben. Daran, dass alle Mitarbeiter innerhalb der physischen Wände der Unternehmen, in ihren Büros und Meetings immer nur produktiv sind, niemals über Kolleg*innen ätzen und Vorgesetzte plaudern. Immer weniger Manager glauben noch, dass Arbeitszeit gleich Leistungserbringung ist. Insofern ist es gute Gelegenheit zu beweisen, dass entsprechender Output und effektiver Outcome auch selbstorganisiert und eigenverantwortlich von reifen Mitarbeiter*innen erbracht werden kann. Von jenen die intrinsisch motiviert sind und dem Unternehmen treu committet. Darüber hinaus wäre es eine gute Gelegenheit E-Learning-Angebote zu nutzen, wenn noch (Arbeits-)Zeit überbleibt, die eignen Kompetenzen auszubauen sowie Ideen und Konzepte für die Weiterentwicklung der Abteilung als auch für die gesamten Organisation festzuhalten und mit Kolleg*innen zu reflektieren. Die Ergebnisse schließlich den eigenen Führungskräften zu präsentieren, mit ihnen zu diskutieren und so das organisatorische Lernen aktiv zu fördern sowie an der Zukunft des Unternehmens partizipativ mitzuwirken.

Conclusio

Die Situation ist diesmal ernst, aber sicher nicht hoffnungslos. Wir haben bis jetzt alle Krisen gemeistert und sie sind Chancen für Erneuerung. Oder um es mit Lenny Kravitz zu formulieren: It ain’t over till it’s over. Die Digitalisierung wird einen enormen Schub erleben, aber auch ihre Grenzen werden sichtbar werden. Unternehmer, Manager, Führungskräfte sind gut beraten, auch in der jetzigen Situation mutig und zukunftsorientiert zu handeln, nicht bloß abzuwarten und nichts zu tun. Auch wenn sich der Normalbetrieb wieder eingependelt hat, die nächste Krise kommt sicher. Und die Frage wird lauten: Was haben die Unternehmen aus der CV-Krise gelernt? Haben sie ihre Sägen geschärft oder gar ihre Werkzeuge insgesamt erneuert?

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