Die lästige DSGVO als vertane Chance oder: 7 Missverständnisse zum Prozessmanagement

Prozessmanagement als organisatorischer Steuerungsansatz ist noch nicht in allen Unternehmen angekommen. Prozesse gibt es viele in Organisationen, aber systematisch gemangt werden sie selten. Die „lästige“ DSGVO macht dies aktuell sichtbar und entpuppt sich weitgehend als vertane Chance zur Nutzung und Entfaltung von Prozessmanagement.

Ob groß oder klein, alle Organisationen waren geschäftig dabei darzustellen, wie sie es mit ihren Kundendaten halten. Welche erhoben werden, wo sie gespeichert und an wen sie weitergeben werden. Oft wurden die einzelnen Abteilungen aufgefordert vordefinierte Formulare auszufüllen, die dann jemand zusammenführte und konsolidierte. Manche haben dazu ein Projekt gestartet oder gar eine neue Stelle geschaffen. Dabei wäre es doch so naheliegend gewesen, sich auf das Prozessmanagement zu beziehen und dieses für Analyse zu nutzen. Und wenn es noch kein systematisches Prozessmanagement gegeben hat, wäre dies ein guter Anlass gewesen, genau das zu diskutieren. Dieser Zug ist abgefahren, aber neue Herausforderungen sind schon da: „Digitalisiere oder stirb!“

Das ist Anlass mit ein paar Missverständnissen hinsichtlich Prozessmanagement aufzuräumen. Wir wollen hier sieben Irrtümer aufarbeiten und zugleich Ansatzpunkte für ein integratives Prozessmanagement anbieten.

  • Nicht jeder Ablauf, nicht jede Regelung ist ein Prozess, sondern nur ausgewählte komplexe abteilungsübergreifende Tätigkeitsketten

Ein Prozess ist eine abteilungs-übergreifende komplexe Verkettung von wiederkehrenden Aktivitäten mit Kundenfokus. Es gilt nicht „Je mehr desto besser“, sondern „Weniger ist mehr“. Wie viele Themenkomplexe sind tatsächlich würdig, als Prozesse näher betrachtet und intensiv gemanagt zu werden? Welche davon sind erfolgskritisch? Dazu empfehlen wir eine sogenannte „Prozess-Würdigkeits-Analyse“. Nicht mehr als 25 oder 30 (Geschäfts-)Prozesse auf der obersten Ebene kann als Richtwert dienen. Dabei spielen Kriterien wie Komplexität, Alleinstellungsmerkmal (USP) und Risiko eine entscheidende Rolle2

In einer effektiven Prozesslandkarte sind nicht mehr als 25-30 Geschäftsprozesse definiert: 5 bis 7 Leistungs- oder Kundenprozesse, 8 bis 12 Support-Prozesse und 3 – 5 Management- Prozesse. Die Prozesslandkarte liefert einen Überblick über die zentralen Aktivitäten einer Organisation aus Kundensicht, jedoch nicht über alle Prozesse dieser Organisation. Man unterscheidet Kern-, unterstützende und Managementprozesse. Kernprozesse sind auf Kundenanforderungen ausgerichtete Träger der unternehmerischen Wertschöpfung und gehen von Kundenerwartungen bis zur Erfüllung dieser ( „end to end-Prozesse“). Unterstützende Prozesse dienen der Abwicklung von Kernprozessen und ermöglichen diese. Sie haben nur indirekten Marktbezug. Managementprozesse haben einen planenden, lenkenden und steuernden Zweck, sind in ihrer Wirkung eher langfristig und betreffen die Ausrichtung der Organisation.

  • Nicht im Unwesentlichen verlieren, sondern Fokus auf die Kundenprozesse legen

Im Sinne einer wertschöpfungsorientierten Prozesslandschaft empfiehlt es sich, bei Analyse und Optimierung mit den Kernprozessen zu beginnen, also jenen, die primär am Kunden orientiert sind, von ihnen direkt erlebt werden bzw. deren Nutzen unmittelbar erfahren wird.

  • Nicht alles bis ins Detail regeln, sondern nur so viel wie nötig

Nicht so viel wie möglich, sondern bloß so viel wie nötig. Selbstorganisation und Empowerment von Prozessteams sind angesagt. Prozesse werden als Best-Practice von Organisationen verstanden, und daher wird nur so viel geregelt und dokumentiert, wie ein professionelles Re-Produzieren der versprochenen/zugesagten Ergebnisse benötigt. Prozesse repräsentieren Standards, das heißt im positiven Fall 80% der Geschäftsfälle, aber keinesfalls alle Eventualitäten. Spezialfälle können einerseits als Sonderfälle abgehandelt oder in Projektform abgewickelt werden.

Nicht jeder Prozess muss bis auf sogenannte SOPs (Standard-operation-procedures) oder Arbeitsanweisungen heruntergebrochen werden. Der Detaillierungsgrad hängt letztlich von der Qualifikation des Personals, branchenspezifischen Vorgaben und dem Empowerment des Prozessteams durch das Management ab.

  • Nicht nur Tätigkeiten, sondern auch Input-Output -Relationen betrachten

Wenn man Prozesse als Input-Output Transformation zu einem höheren Wert versteht, dann geht es neben Materialen vor allem um die Be- und Verarbeitung von Daten, also meist Kundendaten. Durchforstet man die Kern- oder Leistungsprozesse, die primär am Kunden orientiert sind, so erhält man ein sehr gutes Bild über jene Daten, die erhoben, IT-mäßig verarbeitet und weitergegeben werden, sowie schließlich da und dort gespeichert werden. Prozesse sind insofern Flüsse (Flows) von Kundenbeziehungen – von den Erwartungen bis hin zur Erfüllung – und damit zusammenhängende Daten, die von den Kunden benötigt und verarbeitet werden. Die DSGVO will einfach „nur“ sicherstellen, dass im Zuge von Geschäften oder im Rahmen der Prozessabwicklung mit Kundendaten sorgsam umgangen wird.

  • Nicht nur dokumentieren, sondern die nötige Prozessorganisation für gelebte Prozesse schaffen

Prozesse zeigen nur dann ihre Wirkung, wenn sie tatsächlich gelebt werden, und das bedeutet Verantwortlichkeiten zu definieren und diese auch einfordern. Ähnlich wie in einem Projekt lassen sich für Prozesse verschiedene Kompetenzen und Befugnisse sowohl im laufenden (Ab-)Arbeiten des Prozesses als auch in der Optimierung (Arbeiten am Prozess) unterscheiden. Es gibt Verantwortliche (V) für einzelne Prozessschritte, Mitarbeit (M) sowie Letztentscheider*innen (E) und jene die Infos (I) erhalten. Auf der Optimierungsebene benötigt es eine/n Prozess-Eigner*in, die/der strategische Vorgaben für die Prozess-Weiterentwicklung vorgibt (Leitwerte oder Optimierungsziele). Weiters eine/n Prozess-Verantwortlichen, der/die sich um die Umsetzung der Optimierung und die kontinuierliche Performance des Prozesses annimmt.

  • Optimierte Prozesse nicht einfach einfrieren, sondern laufend weiterentwickelt

Prozesse alten sehr schnell, werden von aktuellen Entwicklungen überholt, wenn sie nicht laufend angepasst und kontinuierlich optimiert werden. Um Prozesse lebendig zu halten, benötigt es einen aktiv gelebten PDCA-Zyklus. Da bedeutet einfach: Plan (Planen) – Do (Umsetzen) – Check (Kontrollieren) – Act (Anpassen).

Kleine Anpassungen werden in den Prozessen gemäß eines Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) laufend durchgeführt. Das können Korrekturen durch aufgetretene Fehler sein, aber auch Ideen zur Optimierung. Innovationen oder radikale Prozess-Redesigns sorgen für größere Sprünge in der Prozessentwicklung. Diese müssen im Sinne einer nachhaltigen Wirkung stabilisiert werden. Es gilt: Prozesse orientieren sich an der Strategie – Structure follows Strategy.

  • IT Prozesse sind kein Selbstzweck, sondern ermöglichen effektive Business-Prozesse

Die IT engt die Möglichkeiten der Fachbereiche durch Systemzwänge nicht ein, sondern richtet sich nach deren Bedürfnissen. Daher ist es nötig, dass Geschäftsprozesse aus Kundensicht etabliert werden und das Business (ergo die Fachbereiche) die Verantwortung für die Ausgestaltung der Prozesse übernehmen. IT-Prozesse sind Enabler, die als Support-Prozesse die Kunden-relevanten Prozesse ermöglichen, aber nicht umgekehrt. Oder noch weitergedacht: Die IT Prozesse werden integraler Bestandteil der Wertschöpfenden Prozesse und verschmelzen so mit der Entrepreneur-Sicht.

Conclusio und Ausblick

Die wenigsten Unternehmen haben die DSVGO zum Anlass genommen, ihr Prozessmanagement zu nutzen bzw. kritisch zu hinterfragen. Effektives Prozessmanagement bedeutet, eine Organisation mit Fokus auf die Kunden zu steuern. Dies benötigt klare Rollen und Verantwortlichkeiten horizontal quer über funktionale Abteilungsgrenzen. Die DSVGO war – oder ist immer noch – eine Chance das eigene Unternehmen entlang von Kundenkontakten zu analysieren, zu eruieren wo und wie Kundendaten erfasst, verarbeitet, gespeichert und ggf. weitergegeben werden.

Die Digitalisierung ist die nächste Chance zur Stärkung des Prozessmanagements. Hier stellen sich neue Fragen, die über die bestehende Handhabung und Optimierung von Kundenmanagement hinausgehen:
– Wer kennt uns/findet uns (im Netz)?
– Wie erfährt der Kunde unsere Einzigartigkeit (USP)?
– Wie erlebt uns der Kunde (Moments of Truth)?
– Welche Prozesse sollen voll-automatisiert werden und ggf. von Robotern übernommen werden bzw. als Computer basierte Work-Flows an Kunden out-gesourct werden?
– Wo brauchen wir weiterhin Menschen? Warum und mit welchen Kompetenzen?
– Soll es unterschiedliche Prozess-Varianten geben? Triage-Idee im Sinne einer Komplexitätsdifferenzierung: Roboter – Cyborgs – Human oder Light – Standard – Premium.
– Und schließlich: Wo liegen nun unsere aktuellen Gaps?