Die Welt besteht aus Dreiecken … was sonst?

Natürlich war es Oskars Idee gewesen, mit dieser 1/3-Festschrift. Und auch die Initiative mit dem daran gekoppelten Erstes-Drittel-Fest. Oskar war es auch, der alle mobilisiert und Steiner damit überrascht – genau genommen überrumpelt – hatte.

Oskar hatte seine Ansprache ohne lange Umschweife und Einleitungen begonnen, indem er einen dicken, fetten Punkt auf die Tafel malte. Mit weißer Kreide, ganz traditionell. Man muss ja wohl die Anschlussfähigkeit sicherstellen, betonte er mit Blick auf die Kreide und einem hämischen Grinser. „Die Welt besteht aus Dreiecken, so die weitreichende These, fast hätte ich gesagt, das Dogma unseres wertgeschätzten Jubilars Professor Dr. Robert Steiner. Nun möchte ich mich für einen Moment gerne, vor allem aus künstlerischer Sicht, und nicht zuletzt als langjähriger Weggefährte unseres lieben Steiners …“

Oskar referierte über die Welt des Seins, die offensichtlich aus Dreiecken bestehe, wie etwa Morgen-Mittag-Abend oder Vater-Mutter-Kind bis hin zur modernen Gesellschaft im Straßenverkehr: rot-gelb-grün. Alles eine Manifestation von Dreiheiten. Steiners Management-Ansatz folgend, findet sich auch in Organisationen und Wirtschaft eben diese Trinität: Strategie-Struktur-Kultur, Organisation-Team-Individuum, das magische Dreieck in Projekten: Leistungen-Termine-Kosten sowie die Performance-Fokussierung als Linie-Projekte-Prozesse. „Jedes Dreieck wird als Punkt geboren“, dozierte Oskar und deutete dabei auf seinen Kreidepunkt, „erweitert sich als Linie und vervollkommnet sich als Dreieck. So der Lauf der Dinge, die Existenz der Welt und des Universums überhaupt.“ Oskar führte alle seine Beispiele mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit aus. Seine Stimme war nicht zu laut und nicht zu leise. Anregend, aber nicht aufregend. Man hörte ihm gerne zu. Alle außer Steiner, und dessen Aufgeregtheit stieg kontinuierlich. Die knapp an die hundert Personen zählende Zuhörerschaft ging mit und ließ sich auf Oskars Rede ein. Plötzlich kam die Wende, effektvoll inszeniert. Die Kreide zerbrach in Oskar Händen und fiel zu Boden. Just in drei Teil, gerade zu dem Zeitpunkt, als er nochmals betonte: „Die uns bekannte Welt ist ein Schema von Trinitäten: Wir können es endlos lang belegen. Ein Theaterstück: Anfang-Höhepunkt-Schluss. Ein Projekt: Start-Durchführung-Abschluss. Die Jahreszeiten: Frühling-Sommer-Herbst … und …“ Da stockte er. Nur kurz. Sicher auch alles einstudiert, da war sich Steiner ganz sicher. Nur ganz dezent die Pause. Dann fuhr er fort. „ja und eben der Winter. Aber das ist so eine Anomalie der Natur. Eine Ausnahme, die eben die Regel bestätigt. Wir wissen doch alle ganz genau, dass es drei und genau nur drei Aggregatszustände gibt: gasförmig-flüssig-fest. Das bestätigt wieder das Gesetz der Dreiheit. Und unser aller verehrter Steiner hat in der Wirtschaft nachgewiesen, dass auch dort gemäß den drei Himmelsrichtungen alles nach den Gesetzen der Trinität funktioniert.“

Die Aufmerksamkeit aller im Raum war bei Oskar. Er wusste das und genoss diesen Augenblick. Für einen Moment hielt er inne. Er hob die zerbrochenen Teile der Kreide von Boden auf. Schüttelte sie in seinen Händen und sah hinüber zu Steiner. „Mein lieber Freund, es gibt noch einiges zu tun. Du hast noch so viel vor dir. Das erste Drittel ist geschafft. Far more to go. Ein Dreieck wird mit einem neuen Punkt zum Viereck. Oder …“ Und da machte er nochmal eine kleine Pause. „… zum Tetraeder, einer Figur höherer Ordnung. Ich wünsche dir noch viel Kraft, Neugier und Erfolg auf deinem weiteren Weg durch das Raum-Zeit-Kontinuum deiner Management- und Organisations-Theorien.“

Romanauszug: „Aus Steiners Welt“