Changes als besondere Herausforderung für projektorientierte Führung

1.   Einleitung: Changes überall – Ist jede Veränderung ein Change?

Die Welt ist komplexer geworden und Führung wird zusehends überflüssig. Stimmt das auch? Agile sich selbstorganisierende Teams ganz ohne Projektleiter/in und virtuelle Meetings, die nur mehr einen Moderator benötigen. Es gibt einige Beispiele aus der Praxis (Laloux 2015), dass dies tatsächlich im Berufsalltag funktionieren kann. Alles nur eine Frage der Kultur. So einfach? Doch wie bekommt man das hin, so eine neue Kultur mit teamorientierter, nicht-hierarchischer Werthaltung und fokussierter Selbstverantwortung?Wir wollen hier generisch den Einsatz von Projektmanagement als Führungsinstrument im Rahmen von Veränderungsvorhaben vor allem aus der Perspektive von Kulturveränderung und Akzeptanzsicherung betrachten.

1.1. Changemanagement – Abgrenzung und Verortung

Veränderungen und Changemanagement sind allgegenwärtig. Panta rhei – Alles fließt-hieß es schon bei Heraklit vor mehr als 2.000 Jahren. Aber nicht jede Veränderung ist automatisch ein Change. Wir wollen hier den sogenannten KVP – Kontinuierlicher Verbesserungsprozess – einerseits und die klassische Organisationsentwicklung andererseits von Change-Projekten unterscheiden, die Top-down gestartet und meist mit klaren und befristeten Zielvorstellungen versehen sind. Aber warum ist Changemanagement heutzutage überhaupt so omnipräsent? Die kurze Antwort: Organisationen lassen sich nicht mehr so autoritär führen und ändern wie vor 50 Jahren.

Der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) oder PDCA-Kreislauf steht für kontinuierliche kleine Schritte der Verbesserung. Plan-Do-Check-Act bedeutet bestehende Prozesse zu optimieren, aus Fehlern zu lernen, besser zu werden. Die klassische Organisationsentwicklung (OE) verfolgt zwei Ziele: Rationalisierung, sprich Effizienzsteigerung einerseits und Humanisierung der Arbeitswelt anderseits, die im Gleichklang angestrebt werden. Beiden Konzepten liegt ein Wachstums- und Entwicklungsmodell zugrunde, das eine gemächliche Anpassung und Optimierung in einer relativ stabilen Umwelt verfolgt. Wir wollen hier Change im Gegensatz dazu als disruptive oder diskontinuierliche organisatorische Transformation verstehen (Hochreiter 2006, S.15f.), als geplanter Wandel, der zielorientiert meist als Projekt gesteuert wird.

Die Welt ist dynamischer geworden, Veränderungen im Umfeld von Organisationen werden immer schneller: Technologie-Sprünge, Wertewandel der Gesellschaft, politische Veränderungen. Unternehmen müssen zeitgerecht darauf reagieren, manche Trends gar antizipieren, um am Markt mithalten zu können. Das statische Zeitalter ist vorbei. Nicht nur die Wirtschaft ist VUKA (Volatilität -Unsicherheit -Komplexität – Ambivalenz), sondern die Welt als Ganzes, und Organisationen müssen damit umgehen (lernen).

Vor dem Hintergrund dieser neuen VUKA-Welt wurde das Management der diskontinuierlichen Veränderungen zur Chef-Sache. Aber entworfene Strategien und detaillierte Maßnahmen scheitern oft in der Implementierung. Nicht zuletzt, weil die Umsetzung meist zu technisch-rational angegangen, Bedürfnisse und Emotionen der betroffenen Mitarbeiter*innen weitgehend übersehen oder vernachlässigt werden (Berner 2010, S. 3ff.). Weiters haben sich die gesellschaftlichen Werte von einem „Befehl-Hierarchie-Disziplin“-Paradigma zu einer „Sinn-Partizipation-Eigenverantwortung“-Dominanz verschoben. Die Mitglieder von Organisationen lassen sich nicht mehr so einfach „gestalten“ und verändern. Changemanagement hat sich letztlich als eigene Management-Disziplin etabliert (Doppler/ Lauterburg 2014).

1.2. Veränderungstypologie

Veränderung ist nicht Veränderung, daher hier der Versuch einer Kategorisierung anhand zweier Dimensionen: Wahrgenommene Veränderungsnotwendigkeit bzw. -dringlichkeit einerseits und die Veränderungsbereitschaft bzw. -fähigkeit einer Organisation als auch ihrer Mitglieder anderseits. Die Einschätzung der beiden Dimensionen ist subjektiv und variiert je nach Betrachtungsebene: Geschäftsführung, Mittleres Management, operative Ebene. Weiters hat die Unternehmenskultur einen zentralen Einfluss auf die Bewertung. Ganz wesentlich ist die individuelle Vor-Geschichte einer Organisation, die positiven oder negativen Erfahrungen mit Veränderungen aus der Vergangenheit (Berner 2010, S.18ff.)

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Veränderungen spielen sich stets im Wechselspiel von Psycho- und Organisationsdynamik ab, auch wenn sie noch so rational angelegt sind. Nicht nur Menschen, sondern auch Organisation – verstanden als komplexe soziale Systeme – reagieren auf Veränderungen. Abhängig von der Höhe der wahrgenommenen Bedrohung einerseits und dem Ausmaß der geforderten Einstellungs- und Verhaltensänderung andererseits zeigen sich unterschiedliche Emotionen: Angst, Ohnmacht, Desinteresse, Reaktanz – ein Gemisch aus Unwille, Abwehr und Trotz (Berner 2010, S.14ff.) Die verschiedenen Veränderungstypen benötigen daher das jeweils adäquate Veränderungs-Design bzw. entsprechende Berücksichtigung in den einzelnen Phasen des Changes.

Eine weitere Dimension der Veränderung kann im Betrachtungsobjekt der Veränderung gesehen werden. Mit Bezug auf Dilts Pyramide der logischen Ebenen (1998) können verschiedene Stufen unterschieden werden. Je höher, desto stärker ist die Identität, der Wesenskern einer Organisation betroffen. Werden bloß Tools oder Prozesse ausgetauscht, so ist der Change weit weniger dramatisch, als wenn es um andere Strukturen oder gar neue Wert und Glaubensätze geht. Dieses Modell basiert auf den Lerntypen nach Bateson (2006, S.272), wonach zwischen Single-loop und Double-loop learning unterschieden wird. Ersteres ist ein einfaches Anpassungslernen, welches im Wesentlichen das bestehende Paradigma nicht verlässt. Der zweite Typ tauscht die Sichtweisen, Werte, Basisannahmen und stellt somit eine tiefgreifende Veränderung dar. Sinnbildlich gesprochen, vom Flachland in die Kugelwelt. 

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2.   Organisationsauffassungen und Führung

Um das Changemanagement besser greifen zu können, wollen wir hier unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich Organisationverständnis beleuchten sowie Steuerungs- und Führungsansätze hinterfragen.

2.1. Organisationsverständnis: Triviale Maschine oder komplexes Soziales System?

Auf welchem Verständnis von Organisation und Mensch basiert der Change in den Köpfen der Beteiligten, vor allem des Managements? Werden Organisationen als Maschinen verstanden, so werden Mitarbeiter*innen zu Schrauben und Muttern, Kolben und Verschleißteilen. Manager*innen müssen darauf achten, dass kein Sand ins Getriebe kommt und alles wie geschmiert läuft. Mitarbeiter*innen müssen demnach repariert oder ausgetauscht werden. Die Programmierung der Organisationsmaschine liegt in den Händen der Manager*innen. Diese sind die denkenden Köpfe, die Arbeiter*innen die ausführenden Hände. So die Konzeption von F. Taylor in seinem Scientific Management (2011). Man möge meinen, da hat sich seither wohl viel geändert. Ja, das stimmt sicher. Aber doch so manche „innere Landkarte“ von Führungskräften folgt genau diesem mechanistischen Schema, gepaart mit einem gewissen Menschenbild. McGregor (2006) unterscheidet zwischen zwei Menschentypen: Der Theorie X einerseits, die Menschen als von Natur aus faul, uninteressiert, kontrollbedürftig, schwach, Orientierung suchend und unselbstständig charakterisiert. Und andererseits der Theorie Y, die Menschen als neugierig, engagiert, selbstbestimmt, eigenverantwortlich und leistungsbewusst beschreibt. Nun, was davon stimmt? Manager*innen mit einer mechanistischen Auffassung und einer Theorie X im Kopf kommen zu sehr trivialen und einseitigen Vorstellungen von Veränderungsprojekten.

Eine systemische Auffassung von Organisationen (Luhmann 2000, 2018) hingegen geht davon aus, dass es sich um komplexe soziale Systeme handelt, die lernfähig sind. Sie verfügen über Erwartungsstrukturen und entwickeln eine eigenständige Kultur mit gelebtem Werten und sozialen Normen sowie der Fähigkeit zur Selbstorganisation. Unternehmen reproduzieren sich autopoietisch durch die Kommunikationen, die auf Kommunikationen folgen, oder konkreter durch Entscheidungen, die auf Entscheidungen folgen (Luhmann 2018, S.240). Vor diesem Hintergrund werden Manager*innen von linearen Gestaltern zu beobachtenden Wirklichkeitskonstrukteuren und Sinnmachern. Sie setzen Interventionen und versuchen, das System Organisation zu beeinflussen, Bedeutungen zuzuschreiben, Komplexität zu reduzieren, aber von Zeit zu Zeit auch wieder aufzubauen. Sie versuchen, Einfluss auf Ziele und Wirkungen des Unternehmens zu nehmen, können dieses aber nicht wie eine Maschine direkt steuern oder allmächtig „engineeren“ (Kasper/ Mayrhofer/ Meyer 1998). Systemische Steuerung führt zu einem bescheideneren Führungsverständnis, nämlich zu einem zyklischen Setzen von Interventionen und Beobachten. 

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2.2. Leadership ist gefragt – kein nüchternes Management

An einen Change, an die gewünschten Veränderungen, muss man als Führungskraft glauben. Sonst wird das nichts. Diese Zuversicht muss man ausstrahlen, sie muss spürbar werden. Fehlt diese, werden alle Ansprachen und Apelle zu Worthülsen und leerem Gerede. Die Gefolgschaft merkt das gleich. Führung kann bei Change-Vorhaben nicht einfach delegiert werden. Vorbild-Wirkung ist gefragt. Die sogenannte charismatische Führung nicht unbedingt, aber transformative Führung schon (Meyer/Steyrer 2010), nämlich die Fähigkeit Begeisterung zu entfachen, Teil der Veränderung werden zu wollen. Dies im Gegensatz zu einem transaktionalen Führungsstil, einer rationalen Verkaufstaktik, die Belohnung oder Incentives für erwünschtes Verhalten anbietet. Und noch weniger funktioniert der blinde Einsatz von Befehlsgewalt, Management by Anweisung, außer die Mitarbeiter*innen sehen keine Alternativen, sind regional oder ausbildungsbedingt gefangen. Dieser Gehorsamkeits- und Ausbeutungs-Duktus befindet sich auf einem klaren Kurs zum Aussterben.

Erfolgreiche Führung in Veränderungs-Projekten bedeutet daher: Betroffene zu Beteiligten machen – sichtbar sein – einen Marathon laufen und nicht als Sprinter nach ein paar Meter stehen bleiben – für Feedback zur Verfügung stehen und dies auch aushalten. Welche Kompetenzen müssen/sollen/können Führungskräfte sich heutzutage daher aneignen? In Anlehnung an das Zwiebelschalen-Model (Majer/Schaden/Stabauer 2019, S.193), lassen sich vier nachfolgende Gestaltungs- und Einflussbereiche unterscheiden. Die Einflussmöglichkeiten nehmen von direkt zu indirekt kontinuierlich ab.

1. Ich: Selbstmanagement heißt bei sich selbst anfangen. Nur eine integre Persönlichkeit kann andere führen. Ich muss mir als Führungskraft über meine Stärken und Schwächen bewusst sein. Hier geht es vor allem um Kommunikationsfähigkeit, Zeitmanagement, Konfliktfähigkeit, wie etwa aktiv Zuhören können, klare Ausdruckweise, sprachlich und non-verbal. Nicht zuletzt auch um die Fähigkeit, Meetings und Workshops zielorientiert moderieren sowie Prioritäten setzen zu können.

2. Team: Leadership ist Teamentwicklung und Empowerment. Hierbei geht es darum auf andere einzuwirken zu können, um mit ihnen gemeinsam Wirkungen zu erzielen. Es gilt Projektziele, erwünschte Changes zu „Wir-Zielen“ zu transformieren. Einen Rahmen zu etablieren, in dem gemeinsames Arbeiten möglich wird. Weiters ist sicherzustellen, dass die Potentiale aller Beteiligten erkannt und entsprechend genutzt werden. Die Hauptaufgabe einer Führungskraft besteht in einem Veränderungsvorhaben vor allem darin, das eigene Team gut durch Situationen von Unsicherheit zu führen.

3. Unternehmen/Organisation: Die Changeability der Organisation ist entscheidend, verstanden in einem integrativen Sinne von Strategie, Struktur und Kultur. Wie groß ist die Veränderungsbereitschaft und noch viel mehr die Veränderungsfähigkeit der bestehenden Organisation? In der Unternehmens-Kultur ist weitgehend festgelegt, inwiefern auf Team- und Lösungsorientierung gesetzt wird, Lernen aus Fehlern erlaubt ist und Diversität als Chance begriffen wird.

4. Inter-Organisational: Stakeholdermanagement ist ein kritischer Erfolgsfaktor bei Veränderungen. Wie können relevante Interessenpartner strategisch und nachhaltig nicht nur inhaltlich, sondern auch emotional in die Veränderungs-Projekte integrieren werden? Es gilt die Change-Story adäquat zu transportiert und auch relevante Andere so in organisatorische Lernprozesse miteinzubeziehen.

Change-Projekte bringen oft auch ein bedeutendes Maß an Veränderungen für Führungskräfte mit sich, hinsichtlich Rolle und Aufgaben. Das Loslassen wird für viele Führungskräfte zur absoluten Challenge. Es gilt mit gutem Beispiel voranzugehen und gleichzeitig zu delegieren. Mehr noch: Auf die Selbstorganisationskräfte von Teams zu vertrauen und sie mit Entscheidungsbefugnissen zu „empowern“. Im Sinne einer Kontextsteuerung wird ein adäquater Rahmen aufgespannt, in dem Teams weitgehend selbstbestimmt vereinbarte Ziele verfolgen können, regelmäßig Reflexionen nutzen, um Fehler als Lern- und Entwicklungschancen zu realisieren. Es ist nicht unbedingt leicht für Führungskräfte: Anderen Entscheidungen „zuzutrauen“, ihnen Aufgaben „anzuvertrauen“, auch sich selbst zu trauen loszulassen. Schließlich bleiben sie ja Letztverantwortliche. Aber es ist machbar und notwendig.

2.3. Strategie-Struktur-Kultur als integrative Sicht

Ohne Strategie kein Fokus. Struktur ist nicht alles, aber es bringt Effizienz. Kultur ist der Schlüssel zum Erfolg: Gelebte Werte und Haltungen machen den Unterschied.

Eine effektive Balance von Sach- und Beziehungsebene schafft Wohlfühlen im Team und Erfolg im Job. Partizipative und schnelle Entscheidungsprozesse sind dabei ganz wesentlich. Die schnellen und dezentralen Entscheidungen ermöglichen flexibles Vorgehen, ähnlich wie es bereits bei den Kelten, Indianern und Wikingern praktiziert wurde. Es wird zwischen den sogenannten Governance-Entscheidungen, die die Spielregeln der gemeinsamen Arbeit definieren, und Operations-Entscheidungen, die den Spielverlauf betreffen, unterschieden. Für beide gibt es eigens optimierte Formate für Meetings (Strauch/Reijmer 2018, Robertson 2016).

Im Kreis sind alle gleichberechtigt. Entscheidungen werden nicht durch hierarchische Macht oder Mehrheitsbeschluss gefällt, auch nicht durch basisdemokratischen Konsens, sondern mittels Konsent. Gegenüber diesen Entscheidungen gibt es keine schwerwiegenden und begründeten Einwände, und die Summe der Widerstände vom Team insgesamt sind am geringsten. Diese partizipative und offene Kultur kann in Change-Projekten als Experiment eingesetzt werden und anschießend kritisch evaluiert werden. Ungeachtet dessen ist die Kultur im Sinne von gelebten Werten und Haltungen der Maßstab für erfolgreiche Change-Implementierungen. 

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2.4. Veränderungen lösen Emotionen aus – Phasenmodelle im Überblick

Die typischen Phasen einer Veränderung können in Anlehnung an Kübler-Ross (2014) wie folgt beschrieben werden:

Eine Veränderung kann über einen Zeitraum hinweg von den Betroffenen verdrängt oder ignoriert werden. Dabei besteht eine gewisse Sorglosigkeit, es wird so getan, als gäbe es gar kein Problem. Die Bewusstwerdung wird meist als Schock (1) erlebt. Darauf folgt eine Phase (2) der Verneinung und Verleugnung, gekennzeichnet durch Statements wie ‚Das muss ein Irrtum sein‘ oder ‚So schlimm wird es schon nicht werden‘. Hier kann sich aber auch heftiger Widerstand manifestieren, ‚Das lassen wir uns sicher nicht gefallen‘‚Die werden noch ihr blaues Wunder erleben‘. Erst mit dem rationalen Verstehen (3), der Einsicht, dass die Veränderung nicht abwendbar ist, stellt sich das Bewusstwerden der realen Situation ein. Mit der emotionalen Akzeptanz (4) der Tatsachen kommt es zu einem Tiefpunkt der subjektiv empfundenen Selbstständigkeit und Kompetenz. Dies ist meist gepaart mit Hoffnungslosigkeit und starker Frustration. Mit der Akzeptanz wird aber auch der Weg in Richtung Veränderung möglich. Erste kleine Schritte des Auslotens und Ausprobierens von Neuem werden gewagt. Ein oft zaghaftes Probehandeln (5) findet statt. Mit der Erkenntnis (6), dass das Neue auch Chancen und neue Möglichkeiten bietet, steigt das Selbstvertrauen wieder stark an und auch die Stimmung hebt sich deutlich. Die letzte Phase ist das Verankern des Neuen (7) und das endgültige Verabschieden vom Alten. Damit ist die Integration der Veränderung in den Alltag gelungen, der ‚Change ist verdaut‘.

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Die meisten Change-Ansätze sind als Phasen-Modelle konzipiert und berücksichtigen weitgehend den oben beschriebenen Verlauf individueller Emotionen. Das erste und bekannteste Veränderungsmodell stammt von Lewin (2012) und besagt im Wesentlichen, dass ein Change aus drei Phasen besteht: Auftauen bestehender Kultur und Gegebenheiten (Unfreeze) – Veränderungen durchführen (Move) und schließlich dem Verankern und Stabilisieren des Neuen (Freeze). Bei jeder Veränderung ist stets mit einem konkurrierenden Feld von verändernden und bewahrenden Kräften zu rechnen. Diese gilt es im Sinne einer Kraftfeld-Analyse zu diskutieren und mit geeigneten Maßnahmen für eine Balance entlang des Changeprozesses zu sorgen. Die typische Erwartungshaltung einer Geschäftsführung ist es, dass sofort und rasant eine deutliche Verbesserung durch den Change eintritt. Tatsächlich kommt es fast immer vorerst zu einem Einbruch und einer massiven Verschlechterung der Performance. Die gilt es bei der Planung entsprechend zu antizipieren. 

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Als eines der neueren Change-Ansätze hat sich das Acht-Phasen Modell von Kotter (2011) in der Praxis etabliert. Zu einer ausführlichen kritischen Auseinandersetzung dieses Ansatzes als Dreischritt: Theorie – Praxis – Reflexion vor dem Hintergrund des Praxisfall viadonau siehe Schubiger/Majer in Projektmanagement Aktuell 31. Jahrgang, 05/2020. 

3.   Resümee als Anregung

Wir wollen hier nun versuchen, die Erkenntnisse aus der theoretischen Sondierung zu reflektieren und in Gestaltungsanregungen zu verdichten.

Ausgehend von der Sichtweise, dass Organisation komplexe soziale Systeme sind und nicht direkt wie eine Trivial-Maschine gesteuert oder umprogrammiert werden können, bedeutet dies auch, dass ein triviales mechanistisches -Veränderungs-Paradigma: Input (Ziel) – Maßnahmen – Output (Resultat) zu kurz greift. Führung wird im Veränderungsprojekten vielmehr zu einem sensiblen Hantieren von Wirklichkeitskonstruktionen und Sichtweisen, einem Balancieren von Veränderung und Bewahrung sowie jeder Menge Partizipation und Reflexion. Eine schlüssige und verständliche Change-Story spielt dabei eine große Rolle, um Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit glaubhaft zu machen.

Das Change-Eisberg-Modell (Heimerl 2017) erweitert die Sachebene um die sozio-kulturelle Ebene, integriert also sowohl die Mitarbeiter*innen als interessensgesteuerte Subjekte als auch die Organisation mit ihrer spezifischen Kultur als „eigensinnige“ Referenz. Die Dreiheit: Denken – Reden – Tun ist jeweils durch Reflexionsschleifen iterative verknüpft. 

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Für eine erfolgreiche Change-Architektur bedeutet dies weiters die (operative) Handlungsebene möglichst agil oder als rollierende Planung zu gestalten, die Steuerungsebene integrative und partizipative zu konzipieren sowie eine explizite Reflexionseben zu ergänzen. Veränderungen sollen in bewältigbaren Portionen von der Organisation als auch von den Individuen „verdaut“ und somit nachhaltig verankert werden können. Dies benötigt Zeit und manigfaltige Reflexionsschleifen, Fokus und wertschätzende Beteiligung.

Nicht nur Linienmanager*innen, Projektauftraggeber*innen und Projektlenkungsausschüsse sind bei Veränderungsprojekten besonders gefordert, sondern auch Projektleiter*innen in ihrer Rolle als temporäre Führungskraft. Über die PM-Methodenkenntnisse hinaus gilt es vor allem soziale Kompetenzen als auch Kontext-Wissen, wie Strategie, Prozesse und Standards des Unternehmens im Sinne der ICB4[1], in Veränderungsprojekte einzubringen.

Drei Ebenen zur Steuerung, Gestaltung und Reflexion in einem Change

Tipps und Sprüche für den Change:

–         Auch der längste Roman beginnt mit dem ersten Satz: Und dieser muss den zweiten tragen. Das erste Kapitel soll Lust auf das nächste entfachen, die Spannung und Anschlussfähigkeit zum Weiterlesen motivieren.

–         Es gilt die Sehnsucht nach dem Meer zu sähen und nicht bloß auf die Vermittlung von neuem Know How zu setzen. Auf das Know Whys, den Purpose kommt es an.

–         Um zu neuen Ufern zu gelangen, muss man erst die alten verlassen. Zuversicht und Vertrauen, schaffen die Basis zum Loslassen und geben Sicherheit.

–         Walk the talk: An den Taten werdet ihr sie erkennen. Reden ist wichtig, aber ohne Handeln wertlos.

–         Wasser predigen – Wein trinken: Sehr schnell ist die Glaubwürdigkeit zerstört, wenn die Führung die Ziele und Werte nicht vorlebt. Führung heißt: Ich/wir gehen voran. Und nicht bloß: Wir halten euch den Rücken frei.

–         Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er gleich die Wahrheit spricht. Falsche Versprechungen vergiften den aktuellen Change massiv und gefährden zukünftig die Veränderungsbereitschaft

–         Die Olive wird nicht vom Zupfen reif. Entwicklung braucht Zeit und Geduld.

–         Schweinepferch-Methode: Treibt man die Mitarbeiter*innen in vorgegebenen Bahnen vor sich her und lässt ihnen keine Chance für eigene Entfaltung, dann entsteht keine Partizipation und Selbstverantwortung.

–         Die Planung ist in Sand gezeichnet und nicht in Beton gegossen: Die Zukunft ist offen oder besser die Zukünfte sind potenziell vielfältig. Es wäre fatal den Sack vorschnell zu verschließen oder gar nur ein vordefiniertes Pflichtenhelft abzuarbeiten, statt ein reflexives zyklisches Projekt-Controlling zu etablieren.

4.   Literaturverzeichnis

Bateson, Gregory 2006: Ökologie des Geistes – anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt am Main; Suhrkamp Verlag; (Original 1972)

Berner, Winfried 2010: Change!, Stuttgart; Schäffer-Poeschel Verlag

Dilts, Robert 1998: Die Veränderung von Glaubenssystemen, Paderborn; Junfermann Verlag

Doppler, Klaus/ Lauterburg, Christoph 2014: Change Management – den Unternehmenswandel gestalten, Frankfurt am Main; Campus-Verlag

Heimerl, Peter 2017: Changemanagement systemisch – Working Paper im Rahmen der LV Veränderungsmanagement FH BFI.

Hochreiter, Gerhard 2006: Choreografien von Veränderungsprozessen, Heidelberg; Carl-Auer Verlag

Kaplan, Robert/ Norton, David P. 2009: The balanced scorecard – translating strategy into action, Boston; Harvard Business School Press (Original 1994)

Kasper, Helmut/ Mayrhofer, Wolfgang/ Meyer, Michael 1998: Managementhandeln nach der systemisch-konstruktivistischen Wende, in: Die Betriebswirtschaft (DBW), 58. Jg. Heft 5, S.603-621

Kotter, John P. 2011: Leading Change – Wie Sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern, München; Vahlen Verlag

Kübler-Ross, Elisabeth 2014: Interviews mit Sterbenden, Freiburg; Kreuz Verlag (Original 1993)

Laloux, Frederic 2015: Reinventing Organizations – Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, München; Vahlen Verlag

Lewin, Kurt 2012: Feldtheorie in den Sozialwissenschaften: ausgewählte theoretische Schriften, Bern; Huber Verlag (Original 1963)

Luhmann, Niklas 2000: Organisation und Entscheidung, Opladen; Westdeutscher-Verlag

Luhmann, Niklas 2018: Soziale Systeme – Grundriß einer allgemeinen Theorie; Frankfurt a. M. (Original 1984)

Majer, Christian/ Schaden, Brigitte/ Stabauer, Luis 2019: Entfachen Sie das Teamfeuer – Soziale Kompetenz – der Erfolgsfaktor im Projektmanagement, Strasshof a.d. Nordbahn; Pilum-Verlag

March, James G. 1988: Decisions and Organizations, Oxford; Blackwell Verlag

McGregor, Douglas 2006: The human side of enterprise, New York; McGraw-Hill Verlag (Original 1960)

Meyer, Michael/ Steyrer, Johannes 2010: Welcher Führungsstil führt zum Erfolg? – 60 Jahre Führungsstilforschung; Einsichten und Aussichten, in: Zeitschrift Führung + Organisation (ZfO), S.148-155

Mintzberg, Henry/ Ahlstrand, Bruce/ Lampel, Joseph 2011: Strategy Safari – Der Wegweiser durch den Dschungel des strategischen Managements, München; Finanz Buch Verlag

Robertson, Brian J. 2016: Holacracy: Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt, München; Vahlen Verlag

Simon, Fritz B. 2012: Gemeinsam sind wir blöd, Heidelberg; Carl-Auer Verlag

Strauch, Barbara/ Reijmer, Annewiek 2018: Soziokratie – Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen, München; Vahlen Verlag

Taylor, Frederick Winslow 2011: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, Salzwasser-Verlag; (Original 1911)

Weick, Karl E./ Quinn, Robert E. 1999: Organizational Change and Development, in: Annual Review of Psychology (50) S. 361­386

Weick, Karl E. 2007: Sensemaking in organizations, Thousand Oaks, California; Sage Publ.

[1] ICB4 – Individual Competence Baseline nach IPMA


Changes als besondere Herausforderung für projektorientierte Führung | LinkedIn

(gemeinsam mit Ines Schubiger, gekürzte Fassung. Original erschienen in Projektmanagement Aktuell 31. Jahrgang, 05/2020 https://elibrary.projektmanagement.digital/article/10.2357/PM-2020-0103)