Soko 4.0 Soziale Kompetenz als Schlüssel für den Umgang mit Unsicherheit

Die Welt verändert sich, die Welt ist wucki geworden– nein VUCA (1) heißt das neuerdings. Projekte scheitern – und werden dies in Zukunft noch öfter tun, wenn den handelnden Personen der Kontext von Industrie 4.0, Digitalisierung, neue enthierarchisierte Organisationsformen und Wertewandel nicht bewusst sind. Projektmanager müssen sich nun im Vergleich zur Situation vor einigen Jahren ständig auf neue Gegebenheiten einstellen. Alles ist schnelllebiger geworden. Vereinbarungen oder wichtige Voraussetzungen können morgen schon anders sein. Auch Personen, die an einem Projekt teilnehmen, wechseln viel häufiger. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind einem viel stärkeren Wandel unterzogen als das früher der Fall war. Die Komplexität hat stark zugenommen (2).

Unter Projektmanagement 4.0 verstehen wir Kompetenzen (3), die ein abgestimmtes und koordiniertes Miteinander unter neuen, aktuellen Kontextbedingungen ermöglichen, eine effektive Zielerreichung im Rahmen einer Projektarbeit. Soziale Kompetenzen sind dabei ein ganz wesentlicher Aspekt, der fachlich-technische Kompetenzen einerseits sowie methodische andererseits im PM überstrahlt. Sie beinhalten u.a. folgende Themen: Kommunikation, Leadership, Konfliktmanagement, Wahrnehmung, Feedback-Kultur, Motivation, Diversität, Ethik und Selbstmanagement sowie auch der Umgang mit Emotionen (siehe dazu die gelisteten Themen in der Kompetenz-Baseline ICB 4.0 der internationalen Projektmanagement Vereinigung IPMA). Auf Basis von vier Einflussbereichen und vier Thesen soll hier die Bedeutung der Sozialen Kompetenzen im Projektmanagement als Kernelement oder Linking-Pin illustriert werden.

Die neue Individual Competence Baseline Version 4.0 spiegelt die aktuellen Anforderungen an PM recht gut wieder. Sie ist in drei Kompetenzfelder gegliedert: An erster Stelle stehen die Kontextkompetenzen. Darunter fallen zum Beispiel Strategie, Design, Change und Transformation, Macht, Interesse und Kultur, also alles was die Organisation anbelangt. Der nächste Bereich sind dann die Sozialkompetenzen und der dritte Bereich sind die technisch-methodischen Kompetenzen. Die Reihenfolge ist bewusst so gewählt. Am wichtigsten ist, dass die Organisation, für die das Projekt durchgeführt wird, so aufgestellt ist, dass seine Durchführung einen positiven Impact auf das Gesamtergebnis haben kann. Selbst eine extrem gute Projektmanagerin, der mit allen Sozial- und Fachkompetenzen ausgestattet ist, wird es schwer haben, wenn die Organisation nicht die wesentlichen Voraussetzungen dazu mitbringt.

Welche Kompetenzen müssen/sollen/können Projektmanager sich daher aneignen? In Anlehnung an das Zwiebelschalen-Model (4) lassen sich die PM-Kompetenzen in die vier nachfolgende Gestaltungs-
und Einflussbereiche gliedern. Die Einflussmöglichkeiten nehmen von direkt zu indirekt kontinuierlich ab.

1. Ich: Selbstmanagement heißt bei sich selbst anfangen. Nur eine integre Persönlichkeit kann andere führen. Ich muss mir über meine Stärken und Schwächen bewusst sein. Hier finden sich Ansatzpunkte für Zeitmanagement, Konfliktfähigkeit, Kommunikationsfähigkeiten, wie etwa aktiv Zuhören können, klare Ausdruckweise, sprachlich und non-verbal. Nicht zuletzt auch die Fähigkeiten Meetings und Workshops zielorientiert moderieren sowie Prioritäten setzen zu können. Auch die Methoden-Kompetenz (PM skills hard facts) und das Fachwissen sowie Branchen-Know how sind hier zu listen. Diese Aspekte können relativ leicht erlernt, verbessert und eingesetzt werden.
2. Team: Leadership ist Teamentwicklung und Empowerment Hierbei geht es darum auf andere einzuwirken bzw. mit anderen gemeinsam Wirkungen zu erzielen. Es gilt Projektziele zu gemeinsamen Zielen zu transformieren. Einen Rahmen zu etablieren, indem gemeinsames Arbeiten möglich wird. Die Herausforderung dabei ist es, eine temporäre Organisation zu enablen, die die gewünschte Performance erbringen kann. Es ist sicherzustellen, dass die Potentiale aller Projektbeteiligten erkannt und entsprechend genutzt werden. Dies ist das Feld indem die Projektleitung indirekt im innersten Kontext Einfluss nimmt. Die Hauptrolle eines Projekt-Verantwortlichen besteht immer mehr darin, das eigene Team gut durch Situationen von Unsicherheit zu führen. Denn die meisten Menschen haben lieber Sicherheit. Man muss aber zeigen, dass Unsicherheit auch etwas Positives in sich haben kann.
3. Stamm-Organisation: Der Projektreifegrad der Linie beeinflusst die Effizienz der Einzelprojekte Hier geht es um das Verstehen der permanenten Organisation im Sinne von Strategie, Struktur und Kultur. Projekte stellen per Definition kleinere oder größere Changes dar. Insofern ist es besonders wichtig, die Interessen der Organisation in der Abwicklung von externen und internen Projekten zu verstehen und bestmöglich umzusetzen. Weiters ist es auch Aufgabe von Projektverantwortlichen die organisatorische Projektreife im Sinne eines Projektorientierten Unternehmens5 weiterzuentwickeln. Dazu gehören vor allem die entsprechenden Strukturen (PM-Richtlinien, Standard-Templates, Rollenbeschreibungen, IT-Tools sowie das Multiprojektmanagement), aber auch eine Unternehmens-Kultur, die auf Team- und Lösungsorientierung setzt, Lernen aus Fehlern erlaubt und Diversität als Chance begreift.
4. Inter-Organisational: Stakeholder mit dem harmonisiertem PM-Verständnis ermöglichen eine bessere Zusammenarbeit (5). Stakeholdermanagement bedeutet strategisch und nachhaltig betrachtet, relevante Interessenpartner nicht nur inhaltlich in die Projekte zu integrieren, sondern auch die Projektmanagement-Philosophie zu transportieren und andere in organisatorischen Lernprozessen miteinzubeziehen. Hier liegt ein großes Potential für künftige Fehlervermeidung und Ressourcenschonung. Die Einflussmöglichkeiten von Projektverantwortlichen ist unternehmensübergreifend sicher geringer, dennoch gibt es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, vor allem dann wenn sich der interne Auftraggeber oder die Geschäftsführung einbringen. Ein Austausch hinsichtlich PM-Verständnis in der Startphase und eine Aufarbeitung von Learnings, im Rahmen von Projekt-Controlling und Abschluss erleichtern die Zusammenarbeit nicht nur mit Lieferanten und Kunden, sondern auch mit Behörden und Fachverbänden sowie anderen relevanten Gruppierungen im Rahmen der Leistungserbringung. Der Erfolg von agilen Vorgehensweisen in Projekten steht und fällt vor allem mit dem Einbinden der Kunden in die zyklischen Abnahmen.
Daraus ergeben sich vier Thesen für das PM 4.0 der Zukunft (und Gegenwart):
Eine „shared Vision“ ist Basis und Motor für Zielerreichung
Klare nachvollziehbare Zielformulierungen ziehen magisch an, sind mächtige Attraktoren.
Motivierte, engagierte und fachlich kompetente Projektteammitglieder brauchen weder detaillierte Arbeitsanweisungen noch zwängliche Kontrollen. Ein klares Verständnis des erwünschten Soll-Zustand schafft Orientierung für das eigene Tun und erzeugt Sinnstiftung. Wenn die einzelnen Projektteammitglieder wissen, was erreicht werden und noch dazu welchen Nutzen das konkrete Projekt bringen soll, wird sehr viel Orientierung geschaffen.
Klar definiert Werte und Haltungen ermöglichen eine leistungsfähige Projektkultur
Werte und Haltungen sind nicht out. Sehr wohl aber überholte und aufoktroyierte Vorstellungen von richtig und falsch. Was passend und zieldienlich ist definiert und bestimmt das Team weitgehend autonom. Mit der Vereinbarung von Spielregeln – nicht für immer, nicht für das gesamte Unternehmen und nicht für die ganze Welt, aber doch für das Team – wird eine effektive leistungsstarke Projektkultur geschaffen, für die Dauer der temporären Organisation Projekt bis zur Zielerreichung. Hier sollen Erfahrungen aus früheren Projekten aber auch aktuelle Erwartungen vor allem im Kontext von virtuellen Teams und neuen e-basierten Arbeitsformen abgestimmt, diskutiert und verdichtet werden. Diese „Spielregeln“ stellen dann die Basis und Legitimation für das gemeinsame Zusammenleben dar und wirken im Projekt quasi als politisch verabschiedete Verfassung auf Zeit.
Nur echte Teamarbeit schafft High Performance
Projektarbeit ist Teamarbeit. Verteilte Räume, virtuelle Team, neue Medien erschweren die sozialen Mechanismen für Vertrauensbildung und Teamentwicklung. Effektive Teams brauchen Freiraum zur Entfaltung und zum Agieren. Empowerment bedeutet hier Rahmenbedingungen für Teamentwicklung schaffen: zeitlich, organisatorisch, finanziell. Nur performante Teams schaffen Lösungen für außergewöhnliche riskante neuartige Herausforderungen, sprich Projekte. Und dass weil sie auf einander vertrauen, sich wechselseitig schätzen, stärken und nutzen. Ebenso wie erfolgreiche Fußballteams.
Führen ist wichtiger denn je, aber anders
Ein neues adäquates Verständnis von Führung ist gefragt. Nicht die Dominanten, Lauten, Besserwisser sind gefragt. Führung in hochkomplexen Projekten bedeutet vielmehr
Katalysator, Mediator, Coach, Reflektor und Enabler zu sein. Nicht schwächer sondern bescheidener, nicht weniger sondern dosierter, nicht unbedeutender sondern einfühlsamer.
Führung im Kontext von Sozialer Kompetenz 4.0 in Projekten heißt nicht, die beste Fachexpertise zu haben, bedeutet auch nicht, alle Entscheidungen alleine treffen zu müssen. Vielmehr geht es darum, sich als Projektleitung nicht zu wichtig zu nehmen, zurückstecken zu können und auch andere zur Geltung kommen zu lassen. Es bedeutet auch, für Ausgleich zu sorgen, ruhigeren Teammitgliedern Gehör zu verschaffen und nicht mit formaler Macht „regieren“ zu wollen, sondern auf Basis von gemeinsam getragenen Werten (Spielregeln) zu agieren. Betrachten wir zum Beispiel ein Fußballspiel. Das ist etwas sehr unsicheres. Man kann nie genau in einem Spiel alle Parameter planen. Sogar die Tatsache, dass eine Mannschaft die viel bessere ist, bringt keine Sicherheit für den Ausgang des Spieles. Das schlechtere Team kann seine Chancen in einem speziellen Match plötzlich besser auswerten. Das bessere nicht. Aber der Trainer muss die Spieler mit so viel Fertigkeiten, Spielvarianten und Vertrauen ausstatten, dass sie in der Unsicherheit des Spielverlaufs erfolgreich sein können.

Zusammenfassend sind wir der Ansicht, dass die Sozialen Kompetenzen auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren, sondern noch mehr dazu gewinnen werden. Sie stellen einerseits eine Art Integrations-Kompetenz zwischen Selbst- und Kontextmanagement dar, andererseits entfalten sie die fachlichen und methodischen Kompetenzen erst so richtig durch deren Transformation ins soziale Gefüge Projektteam, Organisation und Stakeholder. Letztlich noch ein Geheimtipp: Always with a Smile. Das innere Lächeln, die Freude bei der (Projekt-)Arbeit ist ansteckend und führt oft zu einer Kettenreaktion des Guten (6).

Referenzen:

1 Volatilität (Volatility)-Unsicherheit (Uncertainty)-Komplexität (Complexity)- Ambivalenz (Ambiguity)
2 Bei einer Mitgliederbefragung pma 2017-08 haben fast 80 Prozent angegeben, dass die zunehmende Komplexität sie am meisten fordert.
3 Unter Kompetenzen verstehen wir die Kombination aus Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in komplexen und auch unvorhersehbaren Situationen erfolgreich eingesetzt werden können.
4 Siehe Majer/Schaden/Stabauer 2014: Entfachen Sie das Teamfeuer, S.193
5 Ein P.O.U. richtet seine Stammorganisation organisatorisch so aus, dass Strategie, Struktur und Kultur Projekte unterstützen und die Projektarbeit erleichtern. Siehe dazu u.a. Martina Huemann 2013: Human Resource Management in Projektorientierten Unternehmen, in: Nachbagauer/Schirl 2013. Die Performance Fokussierte Organisation (PFO) versteht sich Weiterführung hinsichtlich Integration von Projekt- und Prozessmanagement als Berücksichtigung von organisatorischer Komplexitätsdifferenzierung (siehe Majer in diesem Band sowie Miller/Majer 2013. Projekt- und Prozessmanagement in: R. Simsa, M.Meyer & C. Badelt (Hrsg.), Handbuch der Nonprofit-Organisationen. Wien; 2013
6 Im Sinne von Watzlawick 2007: Vom Schlechten des Guten, S.25